Bonnie ist ganz aus dem Häuschen. „Frühling!“, ruft sie.
„Wo ist hier Frühling?“, knurre ich und ziehe den Schal fester.
„Frühling, du Graubart.“ Der Scheinwerfer strahlt. „Frühling, dich hab ich vernommen.“ Die Auspufftüten räuspern sich, und dann tönt es satt:
Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte,
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Düwel ook, Bonnie lässt den Mörike flattern. Da muss was passiert sein. Ich checke die Gute durch. Tankanzeige? Alles OK. Öldruck? Leicht erhöht, aber im grünen Bereich. Ich hole den Batterieprüfer. Satan! Der Zeiger fliegt hin und her zwischen 12,4 und 14,6 Volt, und das Display funkt „S.O.S – When you’re near me, darling can’t you hear me,darling, S. O. S.“
„Schau nicht so verhagelt, Alter. Hach, geht mir das gut. Los, hau den Schlüssel rein, du Bube. Wir machen eine Tour.“
Sie kichert. „Du Bube. Ach, ich liebe die deutsche Sprache.“
Ehe ich mein „Wohin?“ über die Lippen bringen kann, stellt sie klar: „Einmal rund um den See und dann rauf auf die Mainau.“
„Rauf auf die Mainau? Da ist doch jetzt nichts los. Da musst du noch zwei Monate warten. Dann kommen die Touristen.

Und außerdem …“, ich wiege bedächtig den Kopf, “du weißt, dass der Zutritt für Motorräder dort verboten ist?“
„Natürlich weiß ich das. Denkste, nur weil ich nicht so einen unrunden Kopf zwischen hängenden Schultern habe, bin ich blöd? Ihr mit eurer unerträglichen Arroganz! Blumen können hören, Pflanzen sind Problemlöser, Kühe und Mozart, da könnte ich dir Geschichten erzählen! Und ein Motorrad weiß, was für Idioten die Menschen sein können. Und da kommst du daher, und willst mir …“
Ich sehe: Bonnie ist empört.
Ich vermute: Bonnie liest heimlich meinen „Spiegel“.
Aber wieso ist die so aufgedreht?
„Bonnie, ich weiß doch, dass du nicht dumm bist. Du bist nur manchmal etwas …“
„Was etwas? Nun sag nur noch naiv, dann löffle ich mir den Zucker eigenhändig in den Tank.“
„… sagen wir mal ‚sehr eigen‘. Warum willst du denn zur Mainau, wenn du nicht auf die Insel darfst.“
„Weil: Ich hatte einen Traum.“
Ich werde blass. Bonnie und ihre Träume! Jedes Mal, wenn die träumt, gerät mein Leben aus den Fugen.
„Heut Nacht hab ich ein Bild gesehn von Schönheit, Kraft und Eleganz. So wundersam, so licht und leicht.“ Pause. „Ach!“ Pause, dann mit Feuer:
Der Liebe leichte Schwingen trugen mich;
Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren;
Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann.

Romeo in Capulets Garten. Bonnie im Fieberwahn. Dann sprudelt es aus ihr heraus: Blumeninsel Mainau, Blumen jetzt? Keine Blumen jetzt, aber doch alles grün, Ureinwohner, irgendwie Mann und irgendwie Frau, mächtig, mächtig, mächtig. Und dann: eine Elfe. Aufgetaucht aus dem Nichts. Schlank wie ein Windspiel. Wundersam, licht und leicht.
„Sie stand auf ihren flügelleichten Rädern und stille ward’s in Wald und Flur. ‚Flame ist mein Name‘, sagte sie und lächelte. Und dieses Lächeln ist mir mitten ins Getriebe eingeschlagen.“
Bonnie schaut mich mit ihrem großen runden Scheinwerfer an: „ Oh, boy, would you believe it, Bonnie in Love. Isn’t this wonderful!“

In diesem Moment kommt der gelbe DHL-Flitzer. Paket. Lang, schmal und aus Oldenburg. Ich lasse die liebestrunkene Bonnie in der Kälte den Frühling feiern und gehe in die Küche. Ein paar beherzte Schnitte und da liegt sie, die Elfe und lächelt mich an. „Flame ist mein Name“, dringt es betörend an mein Ohr. „Ich komme aus Dangast.“
Mir fällt das Messer aus der Hand.
Nicht wegen Dangast fällt es mir aus der Hand. Das Seebad der Oldenburger Bürger kann schon sehr aufregend sein, auch wenn das Wasser immer gerade weg ist, wenn du da bist. Aber der Rhabarberkuchen oder Janines Unterwäsche am winterlichen Morgen können dich schon in Ekstase versetzen.
Nein, das Messer fällt zu Boden, weil: Bonnies psychedelische Wellen (Wie Mozart und seine Kühe?) sind immer und überall.
Jetzt steht Flame im Garten und wartet auf den Frühling und darauf, dass ein verspielter Wind ihr frivol in die Räder greift.

Leider ist eine steife Brise, schon gar eine frivole, am alemannischen Meer von großer Seltenheit, aber das steckt Flame locker weg. Bonnie himmelt sie an. Und ihre Räder drehen sich in beschwingter Freude, wenn Bonnie jubelt: „Bonnie und Flame, das ist doch was.“ Dann stößt sie mir den Lenker in die Seite: „Hey Kumpel, nenn deinen Blog um. ‚Bonnie and Flame‘, das hat Klang.“ Sie lässt die Kette rasseln. „Holy mackerel, da machen wir ’nen Film draus.”
Eine schöne Idee, Bonnie ist überhaupt voller schöner Ideen. Und Bonnie ist überhaupt ein wunderbares Bike – und ein beneidenswertes Wesen. Raum und Zeit kennt sie nicht. Sie fährt und fährt und fährt. Jeder Tag wartet auf den nächsten Morgen. Jeder Morgen ein neuer Beginn.