Gestern Regen, heute Regen, ich räume auf, ich wische Staub, stelle ein paar Bücher beiseite, nehme eins in die Hand, schlage auf: „Great British Motorcycles“, blättere darin herum. Ein Oldtimer, also ein Echter, das wär doch noch mal was.
Schiebe den Gedanken beiseite, möchte nicht, dass mir die Bonnie an Halloween als wütender Geist erscheint. Stelle das Buch zurück. Finde hinter „The Art of The Motorcycle“ einen USB-Stift – mit einer eigenartigen Gravur: „Bonnie und Navi 2012“.
Da sind wir aber nun aber neugierig. Rechner an, USB-Stift rein, ein Text. Titel: Die Grillparty. Verfasser: Bonnie und Navi.
Da will mich offensichtlich jemand auf den Arm nehmen. Ihr gehe zu meiner Frau. Die putzt gerade ihre Perlenohrringe. Nein, nein, von einer Grillparty weiß sie nichts.
Ich denke, ich denke darüber nicht mehr nach – Bonnie war immer schon eine Lady voller Überraschungen – ich stelle den Text einfach in das Netz, dann bin ich ihn los.
Die Grillparty
Dezember, grau, feucht, der Bodensee unter einem beharrlichen Nebel begraben. Mark schaut aus dem Küchenfenster. Seine grauen Haare hängen müde auf seinem Kopf herum. Draußen hat sich die Bonnie mit ihren 900 cc eingerollt, die Batterie hängt an der Wartungsstation und wird jung gehalten, so gut das eben geht, der Frühling ist in weiter Ferne, und die Gedanken wissen nicht so recht, wohin.
Da taucht auf aus diesem grauen Nebel Johannes Sandmann und versaut Mark die Stimmung endgültig.
Johannes (Johnny) Sandmann, der fuhr mal eine wunderschöne bordeauxrote Suzuki Bandit, die Bandit, die noch über den gestopften Auspuff gedrosselt war, spendierte seinem Prachtstück ein ungestopftes Rohr, und die 1200 cc bedankten sich für ihre Befreiung mit einem enormen Wumm. Marks Yamaha wollte vor Scham in dem Boden versinken.
Was hatte er ihn um dieses Bike beneidet!
Dann kam die Beförderung zum Schulleiter, dann kamen der Schlips und der Kragen, und dann war die Maschine weg. „Irgendwie brauch ich die nicht mehr“ – Wozu er sie „gebraucht“ hatte, behielt er für sich. – „Und außerdem, ich habe mir ein Pedelec gekauft, das ist gesünder.“ Pause. „Und vor allem ökologisch nachhaltiger.“
Und dann: „Wir feiern übermorgen mit einer kleinen Grillparty Marlenes Beförderung zur stellvertretenden Schulleiterin an der Pestalozzischule. Komm doch vorbei.“
Übermorgen war Mark da. Seine Bonneville, die Yamaha hatte er schon lange nicht mehr, parkte er neben Johnnys Garage, in der ein schwarzer SUV seine sechs Zylinder ruhen ließ.
„Hallo, Johnny“, rief er, als er die Tür öffnete. „Sag einfach Johannes, Johnny nennt mich keiner mehr. Na kommt rein.“ Er sah Marks Bonnie. „Du fährt immer noch Motorrad?“
Drinnen empfing ihn die frisch gebackene Stellvertreterin. Er überreichte ihr seine Eintrittskarte für die Grillparty. Ein Satz Cevapcici, selbst angemischt, selbst gerollt.
„Oh“, sagte sie peinlich berührt, „wir essen gar kein Fleisch mehr, wir haben unsere Ernährung umgestellt.“ Pause. „Aber es werden sicherlich einige hier sein, die noch Fleisch essen.“
Nun, wer hat heute nicht alles seine Ernährung umgestellt. Aber dass Marlene peinlich berührt war, erstaunte ihn schon. Sie, die lachend über ihre Hormonbehandlung berichtet hatte („Wir wollen doch mal meinem Eisprung auf die Sprünge helfen.“), um ebenso lachend zu verkünden, als Zwillinge angesagt waren: „Natürlich Kaiserschnitt, ich will doch nicht meinen Lustkanal verunstalten lassen“.
Na, wir werden alle ruhiger mit dem Alter und mit der Beförderung. Mark legte seine Cevapcici neben Champignon-Tomate-Paprika-Spieße, Maiskolben und Halloumiwürfel, dem Grillkäse, der musikalisch zwischen den Zähnen quietscht.
Rechts und links Blicke von spöttisch bis feindselig. Oh Gott, vor ganz vielen Jahren hatte er in einem Selbsthilfekindergarten seinem kleinen Sohn eine Flasche KinderCola mitgebracht. Da wusste er, wie man sich als Klassenfeind fühlt.
„Ah“, sagte er, als er eine Grillschnecke sah, „eine Grillschnecke, lecker.“
„Die ist vegan“, belehrte ihn ein Dame mit rotem Haar, dem eine grüne Strähne einen frivolen Touch zu geben suchte, „und der Senf auch.“
Sie schaute ihm strafend in die Augen und drehte den Kopf. „Hallo Anna“, rief sie, „hast du schon die leckeren Broccolicracker probiert?“
Anna hatte nicht. Anna hatte eine Broccoli-Laktose-Intoleranz. (Anna: „Dabei habe ich immer leidenschaftlich gern Broccoli mit einer Sauce Mornay gegessen. Aber was willst du machen!“)
Und wie Anna lang und breit ihre Intoleranzen ausbreitete – Schwindel, Harndrang, Durchfall, leider aber kein Herzrasen – dachte er: Du arme Sau, an deinen Intoleranzen musst du noch arbeiten.
Irgendwie fühlte er sich allein.
Man sprach über den Asylanten (Alle hatten noch keinen erlebt, wussten aber genau, wie er tickt.), über fake news (Dahinter stecken die Russen!) und vor allem über die Perversion der menschlichen Ernährung.
Johannes gab sich liberal. Er ist Flexi. Also Fisch ist doch was Feines, allerdings nicht aus so einer verseuchten Aquakultur. Er fährt immer mit seinem SUV nach Friedrichshafen zu Fischer Knobloch. Da holt er seine ökologisch durchtrainierten Bodenseefelchen.
Irgendwo rauschte das Klo. Anna hatte wohl doch ein Häppchen Laktose erwischt. Die Laktose ist ja eigentlich vegan, aber dann vielleicht auch wieder nicht.
Marlene kicherte. Der Bodensee Prosecco, Gran Cru Superior, hatte es in sich. Sie hatte ihre Zwillinge nie gestillt. „Muttermilch“, erklärte sie, „ist eben auch nur unbehandelte Milch und vollgeknallt mit laktoralem Milchzucker.“
Raunen. Jetzt wussten es endlich alle: Die gesäugte Menschheit als Opfer verantwortungsloser Müttergenerationen.
„Ach ja, die Zwillinge“, seufzte Marlene, „Die schlafen leider so schlecht. Schon eineinhalb Jahre alt und schlafen nicht durch.“
„Hast du es mal mit Schlaftabletten versucht?“ schlug Sabrina vor, die als Verkaufsleiterin eines großen Modegeschäftes viel um die Ohren hatte, „bei uns war das wie eine Erlösung.“
Die nun folgende Diskussion über das Für und Wieder von Schlaftabletten bei frühkindlicher Durchschlafunwilligkeit hatte er nicht mehr verfolgt. Er erhob sich unbemerkt, griff sich eine Flasche Bier und schlich auf die dunkle Terrasse.
Da stand eine Frau und verschlang seine Cevapcici.
Die Frau schaute ihn schuldbewusst an. „Die konnte ich doch nicht kalt werden lassen, ist doch schade um das schöne Fleisch.“ Sie machte eine kurze Pause. „Die sind echt gut.“
„Ich weiß“, sagte er, „lass mir noch was übrig.“
Dann leerten sie gemeinsam die Bierflasche.
„Ich heiße Mark“, sagte er.
„Hallo, Mark“, sagte sie, ich heiße Salome.„Salome“, sagte Mark, „die Frau mit den sieben Schleiern und dem großen Geheimnis.“
Salome hob den Kopf. An ihrem linken Ohr glänzte matt ein Perlenstecker. Ihre Augen schauten ihn an, dunkel schauten sie rechts und links an einer wunderschön geschwungenen Nase vorbei, abschätzend und lange, dass ihm der Mund trocken wurde.
Jetzt sitzt sie neben ihm im Wohnzimmer. Ihre Augen sind immer noch dunkel, die Nase immer noch geschwungen, aber das Haar ist über die Jahre heller geworden. Sie recherchiert, sie macht Reisepläne. Zwischen Mausklick und Zwischenspeichern fragt sie: „Was gibt es denn heute Abend zu essen?“
„Ich weiß es nicht, wir haben nichts eingekauft.“
Er überschlägt den Inhalt der Gefriertruhe. Da schlummern noch ein paar Garnelen (Aquakultur pur). Er geht zum Kühlschrank. Da sieht er einen Rest Stremellachs (geräucherte Aquakultur), einen angebrochenen Becher laktosegeschwängerter Crème fraîche und einen Rest Frischkäse, dem er sorgfältig den Schimmelansatz entfernt.
„Wie wär‘s mit einer Pasta mit Räucherlachs und“, er zögert etwas, „ und Sahne. Das kriege ich gerade zusammen.“
„Fein“, sagt sie, „das machst du schon. Für mich eine Extraladung geriebenen Gouda.“
„Erinnerst du dich noch an Johannes und Marlies?“
„Oh, bloß die nicht. Willst du mir die Stimmung verderben. Ich bin gerade in Florenz.“