Der Walhai

Überlingen, alles schwarz, weiß und grau, Winter Blues.
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Auf dem Weg zum Orthopäden, der dritte Lendenwirbel ist wieder in Aufruhr. Dem sind die zwei Wochen auf den Malediven nicht bekommen. Ich suche eine Bank an der Anlegestelle. Mit geht es schlecht.
Plötzlich reißt der Himmel auf, Föhnluft weht über den See, die Berge leuchten aus der Ferne herüber, Mädchen schwirren umher mit den Eiswaffeln in den Händen.
Da sehe ich Bonnie.k-00 bonnie am anleger

Gut sieht sie aus. Der Motorblock könnte etwas deutlicher glänzen, aber der Scheinwerfer leuchtet. Ich erfahre, dass ihr neuer Biker gerade im „Faulen Pelz“ bei einem zweiten Frühstück sitzt.
„Ist ein toller Typ. Der kennt da ein paar Schlenker an der Donau hoch nach Albstadt, also da hast du was versäumt.“
Ich sage nichts, da war ich oft mit der BMW entlang gewedelt, aber das behalte ich lieber für mich. Das war vor Bonnies Zeit, und Bonnie kann sehr empfindlich sein.
Sie schaut mich an. „Und was machst du so?“
„Ich pflege meine Knochen.“
Bonnie weiß, wovon ich rede. „Also der Vater meines Bikers, der hat einen schicken Rollator. Ich kann dir gerne das Modell heraussuchen.“
Das überhöre ich. „Ich komme gerade zurück von den Malediven, dort sind wir …“
„Ja, was ist das denn?!“ Bonnie explodiert. „Hast du denn kein Schamgefühl? Fliegen! Hat so ein Flieger überhaupt einen Kat?“
„… sind wir mit dem Speedboot“, fahre ich lustvoll fort, „ über die See gefegt zu einem 106 Kilometer entfernten …“
„Du Umweltsau“ tönt es weit schallend über die Anlegestelle. Die Jungen und Mädchen mit dem Eis in den Händen schauen mich erschrocken bis vorwurfsvoll an.
„ …Atoll,  um einmal im Leben einen ausgewachsen Walhai zu sehen.“
Bonnie wird still. Sie erinnert sich, wie oft ich vor dem Zelt bei einer Flasche Rotwein und einer Ladung terrine de campagne ins Schwärmen kam. „Einmal noch …“ Das ist der Anfang eines Satzes, der bei Bonnie – selbst nicht mehr die Jüngste, aber immer noch voller Träume – gut ankommt.
„Und hast du?“
„Nein“, sage ich, „ich habe nicht einen gesehen.“
„Oh“, sagt Bonnie, und in den Oh schwingt so viel Mitgefühl, dass es mir warm um das Herz wird.
„Nein“, sage ich, „ich habe nicht einen gesehen. Sechs sind mir vor die Tauchmaske geschwommen.“
„Oh du Schlingel!“ Bonnies Scheinwerfer schaut mich lächelnd an. „Auf dich falle ich doch immer wieder herein. Nun erzähl mal.“k-01 edelweiss
„Also“, ich hole tief Luft, „mit ‚Edelweiss‘ sind wir von Zürich …“
„‘Edelweiss‘, okay, immerhin servieren die mit soliden Cromargan Besteck und nicht mit so einem Plastikmüll.“
Ich staune immer wieder. Bonnie kennt sich aus in den entscheidenden Dingen des Lebens.

„Ach Bonnie, wie lange haben wir nicht mehr geschnorchelt, wann sind wir das letzte Mal ab in die Tiefe geglitten. Es war ein Traum. k-03 ray7-tonwert
Mitten durch Schwärme von Wimpelfischen und Stachelmakrelen,
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Zwei Adlerrochen umkreisten uns freundlich und schwebten dann in der Ferne.k-05 adlerrochen montage-tonwert
Über dem zerstörten Riff tummelten sich immer noch die Schildkröten …k-06 schildkröte

… und in den kleinen Höhlen warteten geduldig Soldatenfisch und Süßlippe .k-07 höhle

Dann sahen wir den Anschlag der Tauchbasis: Walhaiexkursion zum Süd-Ari-Atoll.
Und vier Tage später röhrte das Boot mit uns durch die See.k-walboot Kopie
Auf dem Bootsdach der Walhaiexperte. Unter dem Dach die Walhaitouristen.
Auf dem Bootsdach stampfte der Fuß, das Boot stoppte die Fahrt. „Mantas on the right, mantas on the right, jump, jump!“
Und alle jumpten.k-11 walhai manta2 tonwertUm uns herum ein Manta Schwarm. Zutraulich kamen sie näher, drehten ab, um dann neugierig zurückzukehren.k-12manta-elke-tonwert

Wir kletterten zurück in das Boot, nach 15 Minuten wieder ein Stapfen auf dem Kabinendach.
„Wale shark ahead. jump, jump.”
Wieder jumpten wir alle, wohl fünf oder sechs Mal taten wir das. Uns wurden Beine und Lunge schwer.k-13 wahlhai 2
Und immer zogen die mächtigen Fische ruhig gegen die leichte Strömung und saugten genüsslich Plankton und andere Kleinstlebewesen in sich hinein.
Es gibt so Momente im Leben, Bonnie, da stimmt einfach alles.k-15 elke+ray2

Als wir wieder auf der kleinen Insel waren, unsere letzten Schorcheltouren machten …k-07 wimpel+schwarm-tonwert

…noch einmal bei den wuseligen Anemonenfischen vorbeischauten …k-anemone1

… und ein letztes Mal selig aus dem Wasser stiegen, …k-17 elke-auss
… da schlich sich jedoch ein Gefühl der Bitterkeit in unsere Glücksmomente.“
Bonnie schaut mich aufmerksam an. Die alte Romantikerin ist verliebt in die Melancholie.
„ Ja und? … in unsere Glückmomente? Nu mach schon.“
„Die orientalische Süßlippe war immer mein Lieblingsfisch gewesen. Vor gut zehn Jahren stand sie vor korallenverzierten Höhlen.k-18 süßlippe alt

Heute steht sie unter der trostlosen Ruine einen Korallenstockes, und weiß gar nicht, was ihr geschehen ist. Es hat mir fast das Herz gebrochen.“k-19 süßlipen eu
„So, hat es das. Und was düst du dann im Riesenjet um die halbe Welt und sorgst dafür, dass sich das Klima noch weiter aufheizt?“
„Na ja“ sage ich lahm, „morgen pflanze ich einen Baum.“
„Mit deinen maroden Knochen?“
Die Bonnie muss doch immer das letzte Wort haben. Mein Gott, was fühle ich mich trübe. Ich stehe auf. Der Orthopäde wartet.

Auf Grund von Nachfragen ein Statement: Mit einer Ausnahme stammen alle Aufnahmen von Elke und von mir, geschossen in 0 bis 7 Meter Tiefe mit einer Nikon Coolpix AW 100. Das vorletzte Foto ist von einer alten Postkarte abfotografiert. Damals hatte ich noch gefilmt.

Ein Kommentar zu „Der Walhai

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